Der Gärtner des Unsichtbaren

„Nel giardino dei suoni“, der preisgekrönte Dokumentarfilm des Baslers Nicola Bellucci, veröffentlicht in der gedruckten Ausgabe der Badischen Zeitung.

von: Michael Baas

Film ist vor allem ein Medium der Augen. Dieses Medium zu nutzen, um die Welt aus der Perspektive eines Blinden zu erfahren, wirkt wie die Verbindung von Feuer und Wasser. Nicola Bellucci wagt diese kontrastreiche Kombination: Der 1963 in Italien geborene Filmemacher, der seit 15 Jahren als Cutter, Kameramann und Regisseur in Basel lebt, hat sich für seinen Dokumentarfilm „Nel Giardino dei suoni“ an die Fersen des blinden Schweizer Musiktherapeuten Wolfgang Fasser geheftet und formt daraus das einfühlsame Porträt eines Menschen, der nicht nur ein gemachtes Nest in Zürich verlassen hat, sondern seine Blindheit vor allem als Herausforderung nimmt, die Welt anders zu erleben – und so auch Sehenden noch die Augen (und die Ohren) öffnet.

„Die Welt ist Klang“: Diese Botschaft hat der Musikkritiker Joachim-Ernst Berendt bereits Anfang der 80er Jahre im Radio verkündet. Bellucci spinnt diesen Faden im Grunde weiter und sein Filmtitel heißt übersetzt nichts anderes als „Der Garten der Klänge“. Gärtner ist in dem Fall Wolfgang Fasser. 1955 im Schweizer Kanton Glarus geboren, wurde er bereits als Kind damit konfrontiert, dass er in Folge einer Erbkrankheit irgendwann erblinden wird. Mit 22 Jahren trifft ihn dieses Schicksal. Aber Fasser begreift sich nicht als behindert, sondern macht aus der Schwäche eine Stärke; er wird Physiotherapeut und macht Karriere in Zürich. Bis er realisiert, dass Geld und Luxus nicht alles ist. Er geht nach Afrika und macht aus diesem Aus- einen Einstieg: Er lässt sich 1990 in Italien nieder, in der Provinz Arezzo in der Toskana, schult dort um zum Musiktherapeuten, gründet ein Atelier für musikalische Improvisation und behandelt in einem Bergdorf autistische Kinder mit Tönen und Klängen.

An der Stelle setzt der Film ein. Bellucci begleitet Fasser in diesem Alltag. Er zieht mit ihm durch die toskanische Landschaft, zeigt wie er sich die Umgebung sinnlich aneignet, wie er Natur hörend durchwandert, mit einem Aufnahmegerät Geräusche sammelt, das Singen der Vögel, das Zirpen der Grillen, … wie er Stimmungen und Orte über ihren Klang erfährt, diesen Klang-Garten hegt und pflegt. Aber der Film geht mit Fasser auch in den Ort, in die Bar und er beobachtet ihn nicht zuletzt bei der Arbeit, den Musiktherapien, die mit Hilfe von Tönen und Klängen Sehschlitze, in die hermetisch verkapselten Welten der kleinen Klienten wie Ermanno oder Andrea zu brechen versuchen. Andererseits blendet Bellucci auch nicht aus, wie Fassers kleine Welt immer wieder Risse bekommt, bedroht wird – etwa als sein langjähriger Begleiter, der Hund, stirbt oder als er entdeckt, dass seine Hörkraft schwindet. Da gelingen dem Regisseur Momentaufnahmen, in denen die Wärme des Seins und die kosmische Kälte des Nichts fast nebeneinander zu stehen scheinen.

Der Film, der bei Schweizer Filmtagen Anfang des Jahres für seine humanistische Grundhaltung mit dem Prix de Soleure ausgezeichnet wurde, dem am zweithöchsten dotierten Filmpreis der Schweiz, erzählt in bedächtigen, aber bewegenden Bildern von einer Welt jenseits gängiger Effizienz- und Effektivitätskriterien. „Nel giardino dei suoni“ sensibilisiert für Dinge jenseits des Sichtbaren, ist nicht zuletzt ein Plädoyer für Achtsamkeit und Wertschätzung und ein Mutmacher: Was sind meine Gebrechen gegen die Lasten dieser Kinder, relativiert Fasser am Ende seine Befindlichkeit. In Gesellschaften, die Inklusion, die Integration Behinderter, heiss diskutieren, ist dieser Film fast ein Muss.