Der Experte des Unsichtbaren
Von Gerhard Lob, Poppi, swissinfo.ch
Der Schweizer Musiktherapeut Wolfgang Fasser ist ein aussergewöhnlicher Mensch: Er ist blind, therapiert behinderte Kinder und hat sich die Toskana zur Wahlheimat gemacht. Den Winter verbringt er im kleinen Bergkönigreich Lesotho im südlichen Afrika.
Wolfgang Fasser an seinem Wohnort zu besuchen, ist mit Aufwand verbunden. 50 Kilometer ƶstlich von Florenz, auf dem Weg nach Arezzo, erreicht man Poppi. Von dort windet sich ein StrƤsslein nochmals 10 Kilometer ein Tal hinauf zum Weiler Quorle.
Seit gut 20 Jahren lebt Fasser in Quorle, das nur aus wenigen HƤusern besteht. āAls ich 1985 mit einigen Physiotherapie-Studenten erstmals aus der Schweiz hierher kam, spürte ich sofort: Hier will ich einmal lebenā, erinnert sich Fasser.
Fünf Jahre spƤter verwirklichte er den Traum. Er begann als Physiotherapeut zu arbeiten, spƤter gründete er āil Trilloā, ein Klangtherapiezentrum für behinderte oder verhaltensauffƤllige Kinder. Ein Verein trƤgt das Projekt. Soeben hat die Gemeinde ihre Zustimmung gegeben, dass der āTrilloā drei weitere Jahre in der Schule bleiben kann.
Das GebƤude soll mit gemeinsamen KrƤften renoviert werden und so gestaltet sein, dass auch Schulklassen kommen kƶnnen, um in eintƤgigen Erlebnistagen sich dem Hƶren widmen, Naturbegehungen und musikalische AktivitƤten entwickeln kƶnnen. āDas ist superā, freut sich Fasser.
WƤchter in Einsiedelei
Dank des Dokumentarfilms āIm Garten der KlƤngeā des Basler Regisseurs Nicola Bellucci sind Wolfgang Fasser und seine Arbeit mit Kindern einer grossen Ćffentlichkeit bekannt geworden. Der Film wurde erfolgreich in allen grƶsseren StƤdten der Schweiz gezeigt und lief auch auf vielen Filmfestivals im In- und Ausland. Beim Filmfestival von Solothurn gewann der Film im Januar 2010 den mit 60ā000 Franken dotierten Prix de Soleure.
Fasser freut sich über diese Preise, aber er ist kein Mann der grossen Auftritte, sondern eher der leisen Tƶne. In Quorle amtet er als āWƤchterā des āHauses der Stilleā, das der christlichen Bruderschaft Romena gehƶrt, die von Fasser mitbegründet wurde. Einzelpersonen oder auch ganze Familien kƶnnen sich an diesen Ort zurückziehen, abseits von Konsum, Internet und Alltagshektik.
Skeptische Kollegen
In der Jugend brauchte Fasser einige Zeit, bis er selbst seinen Weg fand. Eigentlich wollte er Fƶrster werden. Doch das ging nicht. Er brach eine Lehrausbildung in der chemischen Industrie ab, auch als BƤcker wollte es nicht klappen.
Schliesslich entdeckte er die Physiotherapie. Mit letzter Kraft und viel Zeit konnte er noch die Lehrbücher lesen und sein Diplom machen, bevor er mit 22 Jahren auf Grund einer Erbkrankheit definitiv das Sehvermögen verlor.
In der Physiotherapie musste Fasser sich gegen skeptische Kollegen und Dozenten durchsetzen.
Doch er entwickelte FƤhigkeiten, die ihn schliesslich selbst zum Ausbilder werden liessen. āIn Zürich machte ich das, was man gemeinhin Karriere nennt: Anerkennung im Beruf, schƶne Wohnung, gut bezahlter Jobā, so Fasser. āAber kann es das sein?ā, fragte er sich im Alter von 30 Jahren.
Drei Jahre in Lesotho
Die Antwort lautete Nein. Fasser gab sein Hab und Gut der Vereinigung Emmaus und ging selbst einen neuen Weg, der ihn nach Lesotho ā in Südafrika ā führte. Im Spital von Thaba Tseka bot er seine Dienste als Physiotherapeut an.
Er marschierte stundenlang mit seinem Blindenhund durch das Land, um Menschen zu helfen, nachdem sich seine Präsenz herumgesprochen hatte. Sogar die einheimische Sprache lernte er in Kürze.
Drei Jahre hielt er sich in Lesotho auf. Und heute kehrt er in den Wintermonaten stets für einige Wochen zurück, unterrichtet an MissionsspitƤlern Physiotherapie und arbeitet mit behinderten Kindern. āAfrika hat eine tiefe Bedeutung für mich; es steht für authentisches, elementares und solidarisches Lebenā, sagt Fasser.
Sein eigener Lebensmittelpunkt ist aber seit 1990 die Toskana. Um Geld zu verdienen, reist Fasser viel nach Deutschland und in die Schweiz, wo er Seminare als Physio- und Musiktherapeut gibt. In Italien hat er eine Ausbildung in Musiktherapie absolviert, nachdem ihm die italienischen Behƶrden wegen seines helvetischen Physiotherapie-Diploms Probleme machten ā ein Musterbeispiel für italienische Bürokratie.
Horchwanderungen in der Nacht
Wolfgang Fasser hat sich selbst nie als ābehindertā betrachtet, sondern nur als āandersā. Seinen Lebensunterhalt hat er stets selbst bestritten und ist damit nicht von einer IV-Rente abhƤngig.
Und aus seinem vermeintlichen Defizit hat er eine StƤrke gemacht, indem er andere Sinne ā insbesondere das Fühlen und Hƶren ā ausprƤgte und weiter entwickelte. In der Toskana gibt er regelmƤssig Klangseminare, nimmt Besucher auf nƤchtliche Horchwanderungen mit.
Hier kann sich Fasser als āExperte des Unsichtbarenā betƤtigen. Er kehrt damit die so genannte NormalitƤt um. Denn er hilft Sehenden, sich in einer Welt des Dunkeln zurechtzufinden und Dinge wahrzunehmen, die normalerweise verborgen bleiben.
Mit dem Saxophon in der Band
Inzwischen betreibt Wolfang Fasser viel Supervision, auch für die Physio- und Musiktherapeuten, die im Kindertherapiezentrum āIl Trilloā aktiv sind. Bedeutend ist sein Beitrag für die āFraternitĆ Romenaā, die inzwischen zur grƶssten katholischen Laienbewegung Italiens avanciert ist. Fasser selbst fühlt sich katholisch, aber nicht im kirchlichen Sinne.
Mit seiner Art der SpiritualitƤt will er sich und die Teilnehmer seiner Kurse vor allem der Natur annƤhern und helfen, sich selbst zu erkennen. Musik, Klang, aber auch Stille ist der Teppich für dieses Erleben. Als passionierter Saxophonist spielt Fasser zudem in der Musikgruppe āShalom Klezmerā, die jüdische Musik ƶstlicher LƤnder spielt.
Dass er seit einiger Zeit schlechter hƶrt und auch ein HƶrgerƤt tragen muss, war ein schwerer Schlag. Aber wie sagt Fasser im Film āNel giardino dei suoniā? ā āWas ist das für ein Problem im Vergleich zu den Problemen der Kinder im Therapiezentrum?ā