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Fallbesprechung Veronica

Wolfgang Fasser, dipl. Musik-und Physiotherapeut

Abschlussarbeit SZB

 

Veronica – das Kind, seine Lebenswelt und seine Familie

Dieser Bericht versucht, das 5-jährige Mädchen Veronica und seine Lebenswelt zu beschreiben.

Mein Weg mit ihr begann vor 2 Jahren und dauert weiter an.

Das Kind besucht zusammen mit einem Elternteil das „Atelier für frei improvisierte Musik, il Trillo“ und wird von mir, in vorwiegend rezeptiver Form, mit musik- und physiotherapeutischen Methoden behandelt und gefördert.

Wir leben in einer ländlichen Gegend Mittelitaliens. Der staatliche Gesundheitsdienst offeriert alle Basisdienstleistungen für Kinder in Veronica’s Situation. Für spezielle Angebote sind die Familien auf private Institutionen, wie z.B. mein musiktherapeutisches Atelier, angewiesen. Meine Arbeit ist mit derjenigen der Kinderneuropsychiatrischen Equipe abgesprochen. So ist mein Angebot integriert in das globale Förderungskonzept dieses Kindes und wird vierteljährlich verifiziert. Trotz aller Bemühungen, läss die konstruktive Integration der Aktivitäten der Bereiche Schule, sowie staatliche und private Förderung, zu wünschen übrig, da limitierte finanzielle und personelle Resourcen, sowie administrative Disorganisation  oft eine Zusammenarbeit erheblich belasten.

Beschreibung des Entwicklungsstandes

Vorgeschichte

Veronica wurde am 27. Februar 1998 durch eine natürliche, termingerechte und gut verlaufende Geburt im Spital in Florenz geboren. Sie habe sofort geweint, und der erste Apgar-Test sei auch gut gewesen.

Wissend um die zu erwartende Problematik (pränatal festgestellte Hydroanencephalie),  sei das Kind auf die Neonatologie gebracht worden, wo sich kurz nach der Geburt die ersten Probleme zeigten. Schwerste, nicht beeinflussbare, epileptische Krisen, Atemprobleme und eine bräunlich verfärbte Haut manifestierten den kritischen Zustand des Kindes.Die ersten Tage verbrachte die Familie im Spital – das Kind im Inkubator auf der Intensivstation. Da verblieb Veronica für 2 Monate und wurde via Sonde ernährt. Nach 4 Wochen wurde ihr operativ ein ventriculoabdominaler Shunt mit Erfolg eingesetzt und sie konnte nach Hause geholt werden.

Die Eltern waren im 8. Schwangerschafts-Monat, anlässlich der regulären Ultraschall-Untersuchung, über den besorgniserregenden Befund einer deutlichen Vergrösserung der Hirnventrikel und entsprechender Abnahme des Hirnrindenvolumens des Kindes unterrichtet worden. Bei allen Untersuchungen konnten die üblichen pränatalen Infektionskrankheiten ausgeschlossen werden. Dennoch blieb man bei der Diagnose eines Schädigungsbildes im Sinne des okklusiv bedingten Hydroanenzephalus.

Als Ursache wird, von medizinischer Seite, eine virale Infektion des Kindes, in der Zeit zwischen dem 6. und 8. Schwangerschaftsmonat, angenommen. Die Mutter hingegen vermutet, dass es sich eventuell um eine Folge der Fruchtwasseruntersuchung handeln könnte und ist unsicher bezüglich obiger Ursachen-Erklärung. Sie hätte die Aerzte damals sehr aufgeregt erlebt, obwohl man ihr versicherte, es sei alles normal vor sich gegangen. Ebenfalls meint die Mutter, es könnten vielleicht Erreger aus der Umgebung (Bauarbeiten am Haus in dieser Zeit) gewesen sein.

Veronica wurde in den letzten 5 Jahren 2 mal wegen respiratorischer Schwierigkeiten und Nahrungsaufnahme-Problemen im Kinderspital hospitalisiert. Durch Intubation, Atemunterstützung und Sondenernährung konnte dem Kind geholfen werden, und es kehrte wieder nach Hause zurück. Veronica wird zu Hause von ihren Eltern und einer Betreuungsperson gepflegt. Sie wird 2 mal pro Woche in die Physiotherapie gebracht und besucht, wenn es ihr Zustand erlaubt, den integrativen Kindergarten im Dorf.

Art der Behinderung / Schädigungsbilder

  • Schwere spastisch betonte Tetraparese mit Unfähigkeit von Rumpf- bzw. Kopfkontrolle,
  • häufiges epileptisches Krampfgeschehen,
  • starke Sehbehinderung aufgrund zentraler Verarbeitungsstörung und grauen Stars (vor allem links),
  • respiratorische Insuffizienz aufgrund zentraler Regulations-Störung und schwerster skoliotischer Deformität des Thoraxes,
  • schwere kyphoskoliotische Deformität des Brustkorbes mit ausgeprägtem Rippenbuckel links und entsprechendem Rippental rechts,
  • massive Fussdeformitäten im Sinne eines pronatorisch verdrehten und nach aussen gekippten Spitzfusses,
  • schwerste Retardierung im Sprach-, Wahrnehmungs- und kognitiven Bereich.

Ursache der Behinderung

Pränatale virale Infektionskrankheit, die aufgrund der Liquorfluss-Okklusion zu einer schwersten pränatalen Hirnschädigung im Sinne der Hydroanenzephalie führte. Viruserkrankung nicht bestimmbar.

Geburtsverlauf

Spontane, natürliche, termingerechte und gut verlaufene Geburt. (Zweitgeburt)

Diagnose der Einzelschädigungen

  • Schwere diffuse Hirnfunktionsstörungen bei Hydroanenzephalus,
  • chronische respiratorische Insuffizienz,
  • Tetraparese,
  • hochgradige zentral bedingte Sehbehinderung,
  • Katarakt mehr links als rechts,
  • chronisch rezidivierende Zystitis,
  • ausgeprägte Kypho-Torsionsskoliose mit schwerer Thoraxdeformität,
  • schwere Fussdeformitäten,
  • mentale Insuffizienz

Krankenhausaufenthalte

– 2 Monate lang, anschliessend an die Geburt, für Shuntoperation und zwecks medikamentöser Einstellung, sowie Stabilisierung des Gesundheitszustandes.

– 2 Aufenthalte im 2. und 3. Lebensjahr zwecks Stabilisierung des Gesundheitszustandes aufgrund  respiratorischer Insuffizienz und Ernährungsschwierigkeiten

Operationen

  • Ventriculoabdominaler Shunt in der 4. Lebenswoche – erfolgreiche und problemlos verlaufene OP.
  • Bauchdecken-Revision aufgrund kleiner Hernie im 4. Lebensjahr – erfolgreiche und problemlose OP.

Probleme

  • Chron. respiratorische Insuffizienz mit häufigen Bronchitiden und entsprechenden Antibiotikabehandlungen.
  • Chron. rezidivierende Zystitis.

Derzeitige Medikation

Barbiturate, häufige Zyklen von Antibiotika-Gaben

Impfungen

Veronica hat alle üblichen Impfungen erhalten und diese gut vertragen.

Förderung / Betreuung vor Eintritt

  • 2 mal wöchentlich Physiotherapie im örtlichen Bezirksspital.
  • 2 – 3 mal wöchentlich heilpädagogischer, integrativer Kindergarten im Dorf.

Verhältnis zu den Eltern

Das Kind ist gut in der Familie aufgehoben und wird mit Liebe und viel Wärme gepflegt. Vater Mauro ist beflissen und kümmert sich rührend um seine Tochter. Mutter Paola ist nüchterner, sie ist medizinisch gebildet, und leidet unter depressiven Phasen, in welchen ihr alles zu viel wird. Bruder Philip studiert in Florenz und ist am Wochenende da. Er nimmt gerne Kontakt auf mit Veronika und sie scheint ihn auch zu kennen. Zudem wohnt mit der Familie noch der 85-jährige Onkel Marco, welcher hochgradig hör-sehbehindert ist. Er ist, für seinen Zustand, erfreulich autonom. Er hat keinen direkten Kontakt zu Veronica.

Kind / Betreuer

Tiziana, eine ca. 45- jährige Frau aus dem Dorf, ohne spezifische pflegerische Ausbildung, betreut die Kleine seit 2 Jahren. Sie ist vertraut mit der Situation und widmet sich liebevoll und engagiert dem Kinde.

Körperliche Entwicklung und Gesundheitszustand

Veronica ist von feiner, zerbrechlicher Gestalt. Ihre Arme und Beine sind auffällig dünn, ebenso ihr Rumpf. Der Kopf ist, im Verhältnis zum Körper, nur wenig disproportioniert. Ihre Hautfarbe sei auffallend blass, ihre Lippen oft von schwacher und/oder marmorierter Tönung. Ihre silberblonden Haare sind kräftig und gelockt. Das Körpergewicht beträgt zur Zeit 15 kg, ihre Körpergrösse 98 cm. Die Kleine hat oft respiratorische Schwierigkeiten im Sinne von zähflüssiger  Rachenverschleimung und chronischen Bronchialsekrets, welches sie nur schwer abhusten kann. So kommt es ca. alle 6 Wochen zu fiebrigen Zuständen und konsequenter Antibiotikabehandlung. In letzter Zeit benötigte sie nur selten Sauerstoffzufuhr. Im vergangenen Halbjahr litt sie häufig an Entzündungen der Blase und hatte Mühe beim Wasserlösen.

Die schon beschriebenen orthopädischen Probleme scheinen ihr keine direkten Schmerzen zu verursachen haben jedoch ernsthafte Bedeutung für ihr Wohlbefinden und die Atemfunktion.

Veronica ist täglich von epileptischen Krisen befallen. Diese zeigen sich in Form von Absenzen und kurzen atypischen Krampfanfällen ohne nachfolgenden Schlaf.

Körperliche Deformitäten lese man unter der entsprechenden Beschreibung nach.

Veronica wird von den Eltern ernährt. Sie ist in der Lage den, ihr in den Mund gereichten, Essbrei vom Löffel zu schlecken und selber zu schlucken. Mit der Zunge nimmt sie Tropfenweise Flüssigkeit auf und schluckt diese. Dabei hat sich das Eingeben mit einer Spritze (ohne Nadel) bewährt. Veronica hat alle Zähne, kann jedoch nicht kauen. Sie wird deshalb nur mit Brei ernährt. Ihre Verdaung ist gut und regelmässig. Da Stuhlen spontan nicht möglich ist, wird es mit täglichen Klistieren unterstützt. In jüngster  Zeit schleckt Veronica häufiger mit der Zunge an den Lippen oder am Gaumen. Sie kann den Mund schliessen ohne jedoch den Speichelfluss kontrollieren zu können. Veronica kann aktiv und scheinbar eigeninitiativ die Zunge, den Mund und die Augen bewegen.

Manchmal versucht sie sich aus der Rückenlage in die Seitenlage rechts zu drehen. In Stressmomenten zieht sie ihre Arme nach vorne und oben und schliesst ihre beiden Fäuste dabei. Kehrt wieder Ruhe ein, kann sie die angewinkelten Ellbogen entspannen, sie wieder neben den Körper auslegen und auch den Faustschluss öffnen. Greiffunktionen zeigt sie bloss, wenn ich ihr eine Schnur in die Hand gebe. Diese hält sie fest. Ihre Kopfhaltung ist tendenziell nach links gedreht und geneigt. In entspanntem Zustand kann sie diese Position eigenständig verlassen und den Kopf auf die andere Seite drehen. Ihre Beine bewegt sie selten. Manchmal winkelt sie diese an, auch einzeln, und verharrt in diesen Stellungen. Veronica kann weder den Kopf noch den Rumpf selbständig halten, sie ist apostural. Zur Hilfe wird sie in einen halbschrägen Stuhl mit Gurten gesetzt. Der Stuhl ist quasi eine Liegeschale, die ihre Körperform aufnimmt und sie stützt. Darin scheint es ihr auch für mehr als eine Stunde wohl zu sein.

Psychopathologische und neurologische Besonderheiten

Veronica ist tetraparetisch. Sie verfügt über wenige, einfach strukturierte Bewegungsmuster der Extremitäten und kann keine dieser Bewegungen auf Geheiss ausführen. Ihr Ruhetonus ist erhöht und die Hände und Füsse hält sie oft in spastischer Verkrampfung. Veronica verfügt weder über eine Rumpf- noch Kopfkontrolle. Sie kann deshalb nur mit Hilfsmitteln aufrecht im Stuhl sitzen. Die Mund- und Zungenbewegungen sind für ihren Zustand erstaunlich gut und ermöglichen ihr,  den, in den Mund, auf die Zunge gegebenen Essbrei, selbständig in den Rachen zu befördern und zu schlucken. Ebenso kann sie Bronchialsekret in den Mundraum hoch-husten und würgen und auf der Zunge platzieren, um es der Mutter leichter zu machen, dieses mit dem Löffel zu entfernen.

Veronica kann sich nicht selbstständig fortbewegen. Sie versucht manchmal, sich auf die rechte Seite zu drehen. In Schreckensmomenten bringt sie ihre beiden Arme vor sich hoch, beugt diese an, legt den Kopf in den Nacken und dreht ihn stark zur linken Seite. Veronica hat keine willkürliche Kontrolle über ihre Sphinctermuskulatur und ist deshalb inkontinent.

Verwertbare EEG- Ableitungen konnten nicht gemacht werden. Die Reflex-Aktivität ist  gesteigert und zeigt das Bild einer zentralbedingten Enthemmungssituation. Das häufige anfallsartige Krampfgeschehen ist epileptischer Genese, ohne sich jedoch in den klassischen Formen darzustellen. Es handelt sich um Absenzen kurzer Dauer, grobschlägiges Verkrampfen der Arme und nachfolgendes stimmliches Geräusch. Die Anfallsmomente dauern wenige Sekunden und zeigen sich periodisch mehr oder weniger häufig – oft täglich. Veronica ist tetraparetisch. Sie verfügt über wenige, einfach strukturierte Bewegungsmuster der Extremitäten und kann keine dieser Bewegungen auf Geheiss ausführen. (siehe oben) Veronica hat selten hohes Fieber wenn sie krank ist, was auf eine zentral gestörte Thermoregulation zurückgeführt wird.

Darstellung des Kindes und seiner Problemsituation

Veronica ist ein Liegekind und wird in der Familie gepflegt. Dabei wird den Eltern durch eine Betreuerin geholfen. Wie hier üblich, besucht auch Veronica den integrativen Kindergarten. Oft fehlt sie wegen gesundheitlicher Schwächen und so fällt die heilpädagogische Förderung aus. Ebenso wird Veronica 2 mal pro Woche im lokalen Physiotherapiezentrum bewegt und entspannt – dies im Sinne einer funktionellen, passiven Behandlung. So kommt das Kind einige Male pro Woche aus dem Haus und erfährt andere Orte und Aspekte ihrer kleinen Lebenswelt. Diese Transporte hinterfragte ich auf ihre Auswirkungen für das Kind. Wenn es ihr gut geht, scheinen sie ihr gut zu tun, entlasten die Mutter und helfen die Situation besser tragen zu können. Im Krankheitsfall sind diese Ortsveränderungen nicht möglich und es kommt häufig zu Unterbrüchen der Aktivitäten.

Veronica wird von ihrer Familie mit viel Wärme und Anteilnahme gepflegt. Es sind wenige Personen, die mit ihr regelmässig Kontakt haben: Mutter, Vater, Bruder, Pflegerin, Kinderärztin, Schul- und Therapiepersonal. Veronica zeigt Kontaktverhalten, wenn man sich mit ihr direkt und intensiv beschäftigt. Ist sie alleine in ihrem Bettchen, so liegt sie ganz ruhig, spielt nicht und scheint zu schlafen. Wendet man sich ihr zu, so verändert sie den Atem und reagiert. Gelingt es,  ihr zu Entspannung zu verhelfen, wird sie auch „interessiert“ auf Kontakt, Nähe und insbesonders auf Klänge und Musik.

Beim Essen kann sie mit Grimassen anzeigen was ihr schmeckt und was nicht. So ist Veronica vor allem ans Bett und ans Haus gebunden. Sie ist angewiesen auf unsere Hinwendung und Fürsorge. In minimalen Formen sind Kontakt und Beziehung möglich, sowie Momente reziproker Interaktionen. Veronica’s Alltag ist von häufigen gesundheitlichen Störungen bestimmt. Die infausten Lebensaussichten sind vordergründig kein Thema im Gespräch zwischen den Eltern und mir, sind jedoch hintergründig oft als bedrohliche Stimmung wahrzunehmen.

Entwicklungsstand

Kommunikation

Kommunikation ist in basaler Form möglich. Veronica hört, fühlt Bewegungen und Lageveränderungen, riecht und schmeckt. Sie „äussert“ sich mit Veränderungen der Atemgeräusche, der Atembewegung, einfachen nichtartikulierten Lauten, vagen mimischen Gesten, sowie einfachen und grobmotorischen Bewegungen von Kopf und Armen. In entspannten Momenten sind ihre Äusserungen vorhersehbar. Veronica gibt an, wenn sie etwas nicht mag, sich unwohl fühlt, leidet, erregt ist, Hunger oder Durst hat und zeigt in Ansätzen ein Lächeln im Gesicht. Nach intensiven Kontaktsequenzen lautiert sie, wenn der Kontakt von unserer Seite her beendet wird und sie wird wieder ruhig, wenn man zu ihr zurück kehrt. Veronica zeigt kein Sprachverständnis.

Lebenspraktische Fähigkeiten

Veronica benötigt für alle Vorgänge des Alltages Hilfe von anderen. Sie ist also in schwerem Grad hilfsbedürftig. Selbstständig kann sie schlucken, husten, Wasser lösen und atmen. Beim Eingeben von Speisen und Flüssigkeiten kann sie unterstützet mitmachen und schluckt im richtigen Moment selbstständig.

Wahrnehmung

Veronica hört und kennt die Stimmen, der ihr nahestehenden Menschen. Sie reagiert auf Lichtreize und Bewegungen in ca. 15 cm Abstand vor ihren Augen. Manchmal scheint sie visuell zu fixieren. Beide Augen weisen einen grauen Star auf. Letzterer wird auf Grund der zentralen Sehbehinderung nicht operiert. Veronica wurde bisher noch nie gründlich auf ihr Sehen hin untersucht. Sie riecht, rümpft die Nase bei ihr unangenehmen Gerüchen und scheint ebenso zu schmecken. Berührungen in deutlicher Form und langsamer Bewegung nimmt sie wahr und reagiert mit Entspannung darauf. Abrupte Bewegungen oder Lageveränderungen provozieren ihre schon beschriebene Abwehrhaltung. Veronica nimmt Vibrationen des Klangbettes wahr und reagiert mit Anhalten des Atems und Bewegungen der Arme. Die taktile Wahrnehmung ist im Mundbereich am stärksten ersichtlich. Veronica reagiert auf den berührenden Löffel etc. Ebenso reagiert sie auf feine Berührungen des Brustkorbes und der Beine. Sowohl beide Hände, als auch beide Füsse, scheint sie weder wahrzunehmen, noch zu spüren. Veronica hat keine haptische Wahrnehmung mittels der Hände.

Fein- und Grobmotorik

Veronica verfügt lediglich über wenige, einfache und grobe Bewegungsmuster der Arme und Beine. Die Bewegungen im Gesichtsbereich, speziell im Mundbereich, sind von feinerer Gestalt. Auf rhythmische und melodische Bewegungsangebote hin reagiert Veronica mit Entspannung und Atemvertiefung und lässt sich beruhigen. Daraus schliesse ich, dass sie Bewegungen und ihre Form wahrnimmt.

Senso-motorische Basisfähigkeiten 

Veronica ahmt nicht nach und kann von selbst nichts greifen. Gibt man ihr einen Gegenstand in die Hand, so greift sie diesen nur mit Hilfe –  einzig eine Schnur kann sie mit dem Faustgriff halten.

Selbstbeschäftigung / Spiel

Veronica spielt manchmal mit ihrer Zunge. Sie bewegt sie gegen die vordere obere Zahnreihe, gegen den Gaumen und macht Schmatzgeräusche. In entspannten Momenten lautiert sie beim Ausatmen.

Mobilität

Veronica kann sich ansatzweise aus Rückenlage in die Seitenlage rechts drehen. Dies ist die einzige „Fortbewegung“ aus eigener Initiative. Das Kind wird in einer Liegeschale im Auto transportiert. Zu Hause sitz-liegt sie meistens in einem Spezialstuhl der fortbewegbar ist.

Orientierung: personell, zeitlich

Veronica hat Schlafrhythmen, ist nachts ruhiger und tagsüber wacher. Es scheint, dass sie Situationen, wie z. B. die Atmosphäre im Musiktherapiezimmer, erkennt. Von der persönlichen Beobachtung her habe ich den Eindruck, dass sie sich selber kaum wahrnimmt. Die Füsse und die Hände scheinen wie losgelöst von ihrem Körper zu sein. Am ehesten nimmt sie im Kopfbereich wahr wie und wo man sie berührt. Sie kennt die Stimme, das Bewegen und die Atmosphäre im Zusammensein mit ihren Eltern, dem Bruder und uns Helfern.

Sozial-emotionaler Bereich

Veronica ist meistens ruhig und ausgeglichen. Wenn sie leidet, ist sie gespannter, wenig oder gar nicht kontaktbereit und auf sich selbst bezogen. Ihr bekannte Personen lässt sie ohne weiteres in ihre Nähe kommen, ohne mit Verkrampfung zu reagieren. Sie ist gut eingebettet in der Familie und hat regelmässigen Kontakt mit uns Helfern.

Spezielle schulische Förderung

Veronica besucht den integrativen Kindergarten, wo sie vor allem passiv am Geschehen teilnimmt. Die Heilpädagogin beschäftigt sich mit ihr vorwiegend im Sinne der direkten körperlichen Stimulation mittels Bewegungen, Massage und Geräuschen.

Spezielle psycho-therapeutische Maßnahmen, vgl. 4

keine

 

Beschreibung der individuellen Förderung

Was war mein Motiv für diese Wahl?

Hypothesen zur Erklärung und für das Verständnis der Problematik

Veronica ist schwerstbehindert und in allen Lebensbereichen von anderen Menschen abhängig. Durch ihre geistige Behinderung, ihre Bewegungsprobleme und ihre Sehschwäche, ist Veronica in der Kontaktaufnahme, dem persönlichen Ausdruck, dem Erkunden und Erfahren der Welt, massiv eingeschränkt. Dadurch fehlen ihr lebensanregende Stimuli von aussen und sie tendiert in der darausfolgenden Isolation zu verharren. Dies zeigt sich in verkrampfter, einseitiger Körperhaltung, einem Abwenden ihrer Aufmerksamkeit von aussen und entsprechenden zusätzlichen Schwierigkeiten mit Atmen, Husten, Schlucken und der Verdauung. Das Kind ist komplett auf unsere Hinwendung angewiesen. Durch direkten, intensiven körperlichen und emotionellen Kontakt kann man Veronica erreichen und sie wird dadurch lebendiger und wacher.

Ihre Atemschwierigkeiten rühren von der schweren Skoliose und den zentralen neurovegetativen Regulationsstörungen her. Das Atemvolumen ist im Verhältnis zur Körpergrösse zu gering. In entspanntem Zustand ist es ihr möglich bessere Blutgaswerte zu erreichen, wodurch sie vitaler wird und sich besser auf die Umwelt einlassen kann. Ist Veronica jedoch verkrampft, wirkt sich dies direkt auf die Blutwerte aus und ebenso auf ihre Atembewegungen. So gerät sie in einen selbstbehindernden Kreislauf: Verspannung – Reduktion des Atemvolumens – Verschlechterung der Blutgaswerte – Atemnot- Angst- Verkrampfung. In den Phasen der gesundheitlichen Stabilität ist die Harmonisierung ihres Zustandes leicht möglich, was zur Folge hat, dass sie nicht auf eine ständige Sauerstoffzufuhr angewiesen ist.

Wir konnten beobachten, dass Veronica in diesen „guten“ Phasen besser verdaut, weniger Aufwand benötigt, um sich zu entleeren und seltener Blasenprobleme hat. Ebenso ist sie wacher und hat weniger Krampfanfälle. In diesen Momenten lautiert sie spontaner und dreht des öfteren und eigenaktiv ihren Kopf. Veronica ist in der Lage, im direkten körperlichem Kontakt, die Präsenz und Wirkung einer Person wahrzunehmen und diese nach wiederholter Begegnung zu erkennen. Das Kind reagiert dann auf die Beziehungsangebote in basaler Form und kann beruhigt, bewegt, aktiviert und getröstet werden. Aus der Ferne scheint Veronica die Umwelt durch das Hören zu erfahren. So reagiert sie deutlich mit Beruhigung auf ihr bekannte Musik oder atmet aufgeregt, wenn sie die Stimme ihres Bruders hört.

Aus diesen Beobachtungen und Reflektionen möchte ich zusammenfassend folgende Hypothese formulieren:

Die aktuelle Problematik Veronicas ist gegeben einerseits aufgrund ihrer schweren Hirnschädigung und der daraus folgenden Mehrfachbehinderung, andererseits aufgrund sekundärer Komplikationen und Deprivation im  sensomotorischenrischen Bereich, sowie auf der Kommunikations- und der Beziehungsebene. Da letztere Faktoren beeinflussbar  sind und es möglich ist, positiven Einfluss auf ihren Gesundheitszustand im ganzheitlichen Sinne zu nehme, wird dies, meine ich, stärkenden Effekt auf ihre Vitalität haben und mithelfen, den prekären Gesundheitszustand zu stützen. Diese Stabilisierung mildert ihr Leiden und kann so vielleicht der ihr möglichen Entwicklung Raum und Kraft geben.

Mit dem Einbezug der Familien die Therapie und meiner Präsenz möchte der Familie unterstützende Kraft sein im Tragen dieser anspruchsvollen Aufgabe. Dieses Mittragen kann die Eltern entlasten, sie aus ihrer Isolation mit den ständig präsenten Ängsten und Sorgen lösen und so eine positive „Entdramatisierung“ der Situation herbeiführen, was sich wiederum positiv auf ihre Beziehung zu Veronica auswirken wird.

Hypothesenüberprüfung

Die, im vorhergehenden Unterkapitel skizzierte Hypothese konnte ich im Laufe der nun schon 2- jährigen Begegnung mit Veronica vielseitig überprüfen, bestätigen und in bestimmten Aspekten relativieren. Die medizinische Dokumentation bestätigt den schweren diffusen Hirnschaden. Neuropsychologisch betrachtet ist ein kortikales Verarbeiten der Sinneseindrücke kaum denkbar und es wird angenommen, dass Veronica wesentlich aufgrund subkortikaler Prozesse mit sich und der Umwelt im Kontakt ist.

Aufgrund dieser Tatsache ist keine Veränderung der kognitiven Entwicklung zu erwarten.

  1. Veronica’s Gesundheitszustand ist wesentlich abhängig von der Pflege, dem Kontakt und der Stimulation von aussen. Ein psychophysisch harmonisierter Zustand über Stunden stärkt das Kind in seiner Vitalität und macht es aktiver. Von selbst ist Veronica kaum fähig, sich aus einer verkrampften Situation zu lösen. Ebenso kann sie sich nicht aus eigener Kraft fortbewegen und demzufolge auch nicht ihre eingenommenen Positionen wechseln. Regelmässiges Umlagern hilft ihr sich zu lösen. Das Kind zeigt deutlich positive Reaktionen auf musikunterstützte mobilisierende Massage der Extremitäten und des Rumpfes.
  2. Veronica kann, in basaler Form, mit uns in Kontakt sein. In entspanntem Zustand hört sie hin, reagiert mit Anhalten oder Animation des Atems und mit Lauten auf meine sonor- musikalischen Angebote. Sie öffnet ihre Augen weit und scheint zu fixieren, wenn sie etwas interessiert. Auf ruhige Musik, wie z. B. das Klarinettenkonzert in A- Moll von Mozart, Klänge des Liegemonochords, oder auf meine vokalen Improvisationen, reagiert Veronica regelmässig  mit Entspannung, spontanen Lauten oder Änderungen der Atemgeräusche. Manchmal entspannt sie sich derart dass sie einschläft.
  3. Die Rumpf-Deformitäten sind trotz ihrer Ausgeprägtheit nicht fixiert und können durch sanftes, melodisches Bewegen deutlich harmonisiert werden. Durch sanfte Bewegungen mit meinen Händen auf ihrem Brustkorb – im Sinne der Spürhilfe – hat Veronica gelernt, dem Ausatmen mehr Zeit zu lassen und dies auch verstärkt zu tun. So kann sie nun besser husten und das Bronchialsekret hochbringen.
  4. Veronica reagiert positiv auf Berührungen im Gesichtsbereich. Massierendes Tasten im Gesicht, um den Mund und von aussen, ihren Zähnen entlang, kann sie zulassen. Dies hilft mit, ihre Furcht vor Schmerzen im Shuntbereich abzubauen. Früher reagierte sie beim Berühren ihrer rechten Kopfseite sofort mit Abwehr und Weinen. Häufiges Streichen von der Kieferspitze zur Kehle hin ermöglicht ihr, regelmässiger und besser schlucken zu können. Demzufolge nehme ich an dass, sie im Gesichtsbereich empfindet und förderbar ist.
  5. Veronica scheint die Situation bei und mit mir im Atelier zu kennen. Heute reagiert sie sofort, wenn ich ihr meine Hand weich auf ihren Brustkorb lege und sie behutsam streichle. Veronica lässt sich schnell und deutlich auf meine Angebote ein und „reklamiert“, wenn nach einer intensiven Begegnung der Kontakt aufhört. Sie nimmt mich wahrscheinlich nicht als Person wahr, kennt jedoch meine Modalitäten – im Atelier wie auch bei ihr zu Hause.
  6. Der Einbezug jeweils eines Elternteiles in die wöchentliche Musiktherapiestunde ermöglichte einen Austausch und die gemeinsame Anteilnahme. So konnte z.B.  die Mutter von „aussen“ betrachten, wie ihre Tochter auf Musik reagierte und  positive Veränderungen zeigte. Ebenso ist die Regelmässigkeit der Begegnung und meine Besuche zu Hause zu einer unterstützenden Kraft geworden. Dies drücken die Eltern wörtlich aus, und laden mich ab und zu ein, mit ihnen und Veronica zu essen.

Diese, anfänglich auf Vermutungen und Überlegungen basierten, hypothetischen Ansätze bestätigten sich im Laufe der Zeit und dienen nun als Grundlage der aktuellen Zielformulierung. Nicht bestätigt fand sich meine Annahme, dass Veronica durch den basalen Dialog besseren Zugang zum vokalen Ausdruck finden könnte. Ich hoffte, dass Familie durch Veronica’s vermehrtes Lautieren besseren emotionellen Kontakt mit dem Kind aufnehmen und sonore Gesten interpretieren lernen könnte. Bis jetzt ist dies noch nicht wirklich eingetroffen, ausser ansatzweise in optimalen Momenten.

Konsequenzen aus der Arbeitshypothese

Die vorausgegangenen Beschreibungen und formulierten Hypothesen lassen mich folgende Konsequenzen für die Förderung Veronica’s erkennen:

  1. Priorität: Die Stabilisierung und Stützung ihres Gesundheitszustandes ist vorrangig. In Tagen gesundheitlicher Schwäche möchte ich Veronica den Transport ins Atelier ersparen und behandle sie dann bei ihr zu Hause.
  2. Psychophysische Harmonisation: Der von aussen herbeigeführte Spannungsausgleich und die Harmonisierung ihrer Körperform ermöglicht und unterstützt jegliche Arbeit mit dem Kind.
  3. Körperdialog: Veronica benötigt direkten, klaren und langsam-sich- verändernden Körperkontakt, um mich wahrzunehmen. Sie bedarf ebenfalls ritualisierter Gesten, um eine Situation wieder „erkennen“ zu können.
  4. Elterneinbezug: Da die gemachten Erfahrungen zeigen, dass Veronica gut reagiert auf die erwähnten Massnahmen, ist es von Bedeutung, dass auch die Eltern diese  Modalitäten im Umgang mit ihrem Kinde erlernen. So kann dem Kind auch ausserhalb der Therapie diesbezüglich geholfen werden.
  5. Geduld: Kleine Fortschritte sind möglich und benötigen Zeit. Deshalb ist es hilfreich, die kleinen Entwicklungen in grossen Zeitbögen zu sehen.
  6. Orientierung: Veronica kann sich durch akustische, somatisch-taktile, vestibuläre und kinästhetische Reize basal orientieren.
  7. Wiederholung: Veronica lernt auf einfachem Niveau, im Sinne der Gewöhnung und kann Situationen in ihren basalen Elementen wiedererkennen. Deshalb sind identische Wiederholungen des Handelns und der Situationen für ihre Orientierung hilfreich.
  8. Befindlichkeit: Veronica kann nur in einfachsten Schemen ihre Befindlichkeit äussern. Deshalb ist es notwendig, sie ständig gut zu beobachten und aufgrund ihrer nonverbalen – vor allem körperlichen, vegetativen und sonoren – Äusserungen zu erkennen, wie es um sie steht.
  9. Wahrnehmungstempo: Veronica braucht Zeit, um wahrzunehmen und zu reagieren. Schnelle Reize und Veränderungen lösen bei ihr sofort starke Abwehrhaltungen aus und  benötigen wiederum Zeit diese zu lösen. Langsames Einwirken kann das Kind ökonomisch besser aufnehmen und positiv beantworten.
  10. Lageveränderungen: Veronica ist empfindlich und reagiert auf abrupte Lageveränderungen mit Verkrampfung. Langsames Anfassen, sicherheitsspendendes Halten und Fortbewegen lässt sie ruhig bleiben.
  11. Stimmliches Umgeben: Es zeigte sich, dass Veronica hört und auf Musik und somit auch auf die „Sprach-Musik“, d.h. auf das Nonverbale der Sprache, reagiert. Melodisches, mit dem Handeln und dem Gefühlszustand syntonisiertes Sprechen gibt ihr Sicherheit und Vertrauen. Dieses klangliche Mitgestalten der Begegnung ist Teil der vorbereiteten Umgebung für das Kind.

Dies sind die wesentlichsten Konsequenzen, welche die im Folgenden beschriebene Förderung mitbestimmen werden.

Umsetzbarkeit im  vorgegebenen Feld

Überprüfung der Ressourcen

Für die, von mir erwünschte, musik- und physiotherapeutische Förderung, stehen folgende Ressourcen zur Verfügung:

  1. Räumlichkeiten: Spezifisch eingerichtetes Behandlungszimmer mit allen notwendigen Instrumenten, mit didaktischen Spielsachen und Lagerungsmaterialien. Die Räumlichkeiten sind gut erreichbar und geheizt.
  2. Transport des Kindes: Veronica wird von einem Elternteil gebracht, welcher dann auch der Therapiesitzung beiwohnt. Für den Weg, der auch im Winter gut zu bewältigen ist, benötigt man mit dem Auto ca. 8 Minuten.

Sollten die Eltern einmal verhindert sein, ist die Betreuerin bereit, Veronica zu bringen oder zu begleiten. Im Krankheitsfall unterstützt mich ein pensionierter Freund, indem er mich in seinem Privatauto, für die Behandlung, zu Veronica nach Hause fährt.

Zeitraum: Die Behandlungsstunde ist mit 60 Minuten, einmal pro Woche, festgelegt und ist nicht von äusseren institutionellen Faktoren abhängig, da der Therapievertrag direkt mit den Eltern vereinbart wurde und sie auch für die Finanzierung aufkommen. (72 Euro pro Monat).

Fachliche Unterstützung: In Absprache mit der verantwortlichen Neuropsychiaterin für Kinder und Jugendliche, tauschen wir 3- monatlich unsere Beobachtungen über Veronica aus, und ich kann meine Fragen anbringen. Monatlich kann ich bei Bedarf, meine Erfahrungen mit dem Kind in der musiktherapeutischen Supervision vortragen und bearbeiten.

Dokumentation: Zur Dokumentation stehen mir ein Computer und ein Tonbandgerät zur Verfügung, und erlauben mir eine adequate Führung der Falldokumentation.

Zielformulierung

Als übergeordnetes Ziel der Bemühungen betrachte ich die Stabilisierung des fragilen Gesundheitszustandes des Kindes. Meinen Beitrag dazu sehe ich in der Unterstützung der Eltern, der Beratung von Schul- und Therapiepersonal auf deren Anfrage hin und in der direkten Behandlung des Kindes. Ein genügend stabiler Gesundheitszustand, über genügend lange Phasen, wird Veronica die ihr mögliche Entwicklung am ehesten gewähren.

Als zweit-wichtigstes Ziel betrachte ich die Prävention von Komplikationen sekundärer und terziärer Natur. Die, in diesen Situationen auftretenden, körperlichen und psychischen Komplikationen, hindern oft die Entwicklung und haben direkten negativen Einfluss auf die Gesundheit des Kindes. Veronica’s Zustand ist jedoch nicht nur von körperlichen Faktoren abhängig, sondern auch von ihren Gefühlen und von der sie umgebenden psychosozialen Sphäre. Die nährende, symbiotische Beziehungen zu Mutter und Vater sind dabei die signifikantesten affektiven Quellen – deshalb mein Engagement auch für die Eltern. Die Auseinandersetzung mit der Umwelt ist für Veronica massiv erschwert.  So sehe ich in der Intensivierung der ihr möglichen Auseinandersetzung mit ihrer Umgebung eine weitere Förderrichtung. Die daraus entstehenden Grunderfahrungen können als positive Anregungen wirken.

Um diese 3 höher geordneten Ziele anzustreben, möchte ich die folgenden konkreten Arbeits-Ziele formulieren:

Veronica soll mit den ihr gegebenen Möglichkeiten und in ihrem Tempo,

  1. sich gewöhnen an meine musikunterstützten, weichen und massierenden Körperberührungen und sich dabei und dadurch genügend entspannen,
  2. meine Körperform harmonisierenden, melodischen Bewegungen zulassen und sich dabei aus den festgehaltenen, selbstbehindernden Positionen lösen,
  3. sich genügend entspannt auf ihre, im voraus angedeuteten Lageveränderungen einlassen können,
  4. den einmal erreichten, entspannten und harmonisierten Zustand für ca. 30 Minuten halten können,
  5. ohne spezielle äussere Stimulation, selbstständig, den eingegebenen Essbrei schlucken,
  6. spontan kräftig husten, regelmässig das Bronchialsekret in den Mundraum hochbringen und die dazu nötigen Bewegungen zulassen,
  7. im taktil-kinästhetischen Körperdialog tolerant sein gegenüber Abweichungen persönlicher Stilunterschiede.(Mutter, Vater, Hilfspersonen etc).

Dies sind die 7 aktuellen Hauptziele, die ich in meiner Arbeit mit Veronica anstrebe. In der Körper-orientierten und ludischen Vorgehensweise gibt es entsprechende Unterziele. Die Begegnung ist dialogisch und prozessual gestaltet, auch wenn es sich um basale Kommunikation handelt. Wo immer es möglich ist, nehme ich Veronica’s Vorgaben und Interessebekundungen auf und reagiere darauf. Ihre Gesten – in der ihr zur Verfügung stehenden Sprache – sollen eine Wirkung haben und dadurch Isolation lockern und ihr Interesse nach aussen stimulieren. Die Arbeitsweise entspricht einem integrativen und intermodalen Stil. Elemente der aktiven und rezeptiven Musiktherapie finden fliessende Integration mit physiotherapeutischen Techniken der Kinder-Neurorehabilitation.

Die praktische Umsetzung dieser Vorstellungen und Zielsetzungen beschreibe ich im nächsten Abschnitt.

Handlungsschritte

Die obgenannten Zielformulierungen versuche ich mit folgenden Handlungsschritten zu erarbeiten.

Elterneinbezug

Zu jeder Sitzung kommt der Vater oder die Mutter mit in das Musiktherapiezimmer – einerseits, um das Kind zu begleiten, andererseits um mitzuerleben, wie Veronica auf die Angebote reagiert und sich in einen basalen Dialog einlässt. Dieses Miterleben erwies sich als positive Unterstützung für die Eltern. Mutter Paola war anfänglich sehr skeptisch bezüglich der Hypothese, dass ihr Kind über Geräusche und stimmliche Äusserungen in einen Dialog treten könne. Die Mutter sah aber bald, dass Veronica auf ruhige, Klangfarben-reiche und Melodiebewegungs-reiche Musik mit Entspannung und Wachheit reagierte. Die Entspanntheit, die im Kind  entstand und seine einfachen, kommunikativen Gesten, berührten die Mutter, und es schien mir, dass sie so ihrem Kinde näher kam. Als medizinisch geschulte Person ist sie gut informiert, und vielleicht auch dadurch belastet in der freien Begegnung mit Veronica. Das erweiterte Setting ist eine Gelegenheit, Bestätigung bezüglich des Umgangs mit dem Kinde zu finden und neue Anregungen zu bekommen.

So erzählte Vater Mauro, dass ihn mein stimmliches Begleiten der Handlungen anregte, mehr mit Veronica zu sprechen – wissend darum, dass sie gedanklich den Inhalt nicht erfassen kann, jedoch das „Musikalische“ der Sprache erfasst und darauf reagiert. Dies ist gut auf Tonbandaufnahmen zu hören.

Beide Eltern glaubten, dass alle abnorm wirkenden, abrupten Bewegungen Ausdruck von epileptischen Anfällen seien. Ich konnte ihnen aufzeigen, dass manche dieser Bewegungen enthemmte Reflexaktivitäten sind, und das Kind durch Umlagern leicht daraus befreit werden kann (z.B. Opisthotonus- Reaktion).

Die im Laufe der Sitzung entstehende, ruhige und entspannte Atmosphäre und die Erkenntnis, dass Veronica basal kommuniziert, tat und tut den Eltern gut. Beide entspannen sich jeweils und sagen oft spontan: „Hierher kommen ist auch Therapie für uns“. Weitergehende Gespräche führen wir in separater Situation. Dazu gehe ich meist zu ihnen nach Hause, sodass Veronica in ihrem Bettchen schlafen kann, und wir unter uns in der angrenzenden Küche sprechen können. Diese Gespräche sind Kindzentriert. Eigentlich ist es ein gemeinsames Suchen und Erkennen. Meine Beobachtungen helfen zu bestätigen und sind manchmal auch orientierender Pol – sind doch die Eltern stehts nahe am Kind und meine distanziertere Perspektive ist oft hilfreich für sie.

Gemeinsam konnten wir zu Hause die vorbereitete Umgebung für Veronica mit ihr dienenden Elementen anreichern: Material zur optimalen Lagerung, Musikanlage, visuelle und grobtaktile Orientierungshilfen etc.

Zu dritt treffen wir uns 2-monatlich, mit je einem Elternteil wöchentlich.

Wöchentliche Einzelförderung in erweitertem Setting.

„Ein Tropfen auf einen heissen Stein!“. Dennoch, diese festgelegte, reguläre Einzelförderungsstunde scheint mir sinnvoll zu sein. Einerseits wegen des direkten Effekts auf das Kind, andererseits des unterstützenden und Kompetenz-erweiternden Effekts auf die Eltern wegen, und insbesonders wegen der „Aha“- Momente für Veronica. Es gibt häufig intensive Begegnungsmomente, in welchen die üblichen Verhalten unterbrochen werden und Veronica inne hält, sich nach aussen orientiert und sich aktiv ausdrückt. Erwähnen möchte ich die Momente, in welchen sie lautierend auf die Akkordwechsel bei der Klavierimprovisation reagiert, oder aus ihrem gewohnten Karchlen herauskommt und ruhig atmend, gespannt den hölzernen Klangfarbentönen des Balafons zuhört.

Die Stunde zeigt meist folgende Struktur:

Ankommen, Einlassen und Harmonisieren.

Wir legen Veronica auf das vorbereitete Bett. Weiche Decken, kleine und grössere Kissen und Tüchlein dienen mir, sie angenehm zu lagern. Ich versuche sie im Sinne der bedingungslosen Akzeptanz, auch auf körperlicher Ebene, anzunehmen und abzuholen. So liegt sie anfänglich gut und sicher in ihrer stereotypen, asymmetrischen Abwehrhaltung. In langsamen Bewegungen, ruhig zu ihr sprechend, berühre ich ihren Körper. Im Hintergrund läuft die ritualisierte Begrüssungsmusik: Mozarts Sonate für Violine und Klavier. Wenn Veronica ruhiger atmet, beginne ich sie langsam, mit klaren Berührungen, melodisch zu bewegen. Ich bringe ihren Körper nur derart in Bewegung, wie sie es zulässt. Dieser freie Bewegungsraum vergrössert sich und ich beginne sie auch in ihrer Körperform zu harmonisieren. Dies heisst, zusammengezogene Stellen zu lösen und zu öffnen, verkrampfte Muskeln zu lockern und Asymetrien aufzulösen, zu symmetrieren, und auch auf die Gegenseite zu bewegen. Die Harmonisierung besteht  im Auflösen von spastischen Haltungen und dem Einnehmen von Tonussenkenden Positionen. Dieses „Behandeln“ führe ich in einem ludischen Sinne aus, das heisst, in spielerischer Form und nicht in einfachen funktionellen Schemen. Diese Körperarbeit ist vom Dialogischen geprägt. Veronica’s körperliche, vegetative und sonore „Kommentare“ auf meine Bewegungsangebote hin nehme ich auf und gestalte das Tanz-ähnliche Bewegungsspiel. Zwischendurch braucht sie Pausen, lässt kleinere oder grössere Bewegungen zu und ändert auch von sich aus die Stellung der Extremitäten. Diese Gesten sind deutlich und einfach zu verstehen.

Die Atemgeräusche lernte ich mit der Zeit kennen. Sie sind ebenfalls ein leitendes Merkmal. So höre ich, wie sie sich beruhigt, dem Schlafe näher kommt, ein epileptischer Anfall im Anzug ist, sie sich interessiert, angeregt und erregt ist, verspannt und presst, sich seufzend löst etc. Die Erfahrung bezüglich der Bedeutung dieser hörbaren Mikroveränderungen ausserhalb des Lautbereiches, ist heute, nach 2 Jahren, wichtige und gewohnte Dimension, welche ich bewusst, wie auch beiläufig beobachte.

Kontakt und Neuigkeiten.

Einmal entspannt und ruhig, ist es oft möglich durch sonor- musikalische Angebote in einen basalen Kontakt mit Veronica zu treten und ihre Aufmerksamkeit zu erhalten. So reagiert sie durch Anhalten oder Verlangsamen des Atems auf stimmliche und klangliche Angebote. Sie scheint zu hören, wenn ich nahe an ihrem Kopf summe, oder mit den Vokalen ihres Namen singe. Die spürbaren Töne des Klangbettes beantwortet sie des öftern mit eigenen Lauten, die sie auch länger aushalten kann. Syntonisiere ich mich mit ihren Atemgeräuschen, so unterbricht sie ihr Atmen und scheint hinzuhören. Auf das Spielen mit Summtönen in ihrer Ausatemphase reagiert sie oft mit Lauten und auch mit grobmotorischen Gesten des Arms, so als ob sie nach mir greifen möchte. In dieser 2. Phase schaukeln wir das Kind manchmal in einer Decke, tragen es im Zimmer herum, beschäftigen uns mit den verschiedenen Instrumenten und setzen uns Licht- und Schattenspielen aus.

Ausruhen und  Stille.

Gegen das letzte Drittel der Stunde ist Veronica meist ruhig und entspannt. Sie reagiert weniger auf meine Angebote, was ich als Sättigung betrachte, und wir legen sie wieder auf das Klangbett. Den Kopf in Mittelposition haltend, lasse ich für Veronica ruhig und wohlgebettet die Stunde ausklingen. Manchmal summe ich dazu oder spiele sanfte Bögen auf dem ganzen Seitensatz des Klangbettes. Veronica wendet sich in diesen Momenten häufig zu mir und, ohne sie am Kopf halten zu müssen, scheint sie mich „anzuschauen“ bzw. anzuhören. Ich möchte sie in dieser Entspanntheit verweilen lassen, um ihr die Gelegenheit zu geben, den Zustand auszukosten, ihn zu erfahren und  mit ihm vertraut zu werden. Manchmal schläft sie dabei ein. Es fällt stets auf, wie sie von selbst tiefer atmet, beide Lungen belüftet und ihre Lippen deutlich rosa gefärbt seien. Ebenso würde die Gesichtsfarbe kräftiger wirken. Ihre Arme und Beine kann sie so ausgestreckt und locker liegen lassen. Diesen harmonisierten Zustand kann sie heute gut zulassen und er bleibt, lässt man sie in Ruhe, sogar über längere Zeit bestehen.

Die wichtigsten Themen, welche uns in der Vergangenheit beschäftigten waren folgende:  (aus der, von mir vorgestellten, Sicht Veronica’s). Wo sind wir? Was geschieht hier? Er, seine Hände, seine Bewegungen und seine Stimme. Neues und Unbekanntes, loslassen, hingeben, vertrauen. Es tönt und klingt. Gesicht und Mund, schlucken und husten. Miteinander, Lust und Freude, schaukeln und drehen, schmerzliches Loslassen, Licht und Schatten.

Diese fortlaufende Arbeit werde ich weiterführen und auf die formulierten Ziele hinarbeiten.

Bis jetzt  (1.12.2003) hat Veronica Folgendes erreicht:

    • Veronica lässt sich auf die Situation im Musiktherapieatelier ein. Sie löst sich schnell von der anfänglichen Spannung und lässt sich behandeln.
    • Veronica äussert sich im Sinne der basalen Kommunikation, nimmt meine entsprechenden Angebote wahr und reagiert unregelmässig darauf.
    • Veronica hat die Berührungsangst im rechten Kopfbereich überwunden und lässt sich ohne weiteres kämmen und die Haare waschen. Ebenso reagiert sie mit Hingabe und Entspannung auf eine weiche Kopfhautmassage.
    • Veronica schluckt regelmässig weichen Essbrei ohne sich zu verschlucken.
    • Veronica kann husten und das Bronchialsekret in den Mundraum bringen.
    • Veronica lässt sich in einer Decke für kurze Zeit schaukeln, ohne sich dabei zu verkrampfen.

 

Zusammen mit der Mutter möchte ich nun die Gestaltung des Bettchens und der nahen Umgebung im Zimmer visuell und taktil verbessern. Veronica benötigt einfach strukturierte und deutliche Stimuli. Ich denke an unterschiedlich farbige Stoffe an den beiden Seiten des Bettchens und ebenso entsprechende taktile Qualitäten. Die Details werde ich vor Ort mit der Mutter erarbeiten.

Unterstützung des betreuenden Personals von Veronica.

Die begonnene Arbeit, zwecks Unterstützung des betreuenden Personals, werde ich nach Bedürfnis weiterführen. Die Themen sind vor allem auf das Handling, die basale Kommunikation und die Wahrnehmung des Kindes ausgerichtet. Diese Aktivität soll dem Lehr- und Therapiepersonal mehr Sicherheit und Vertrauen im Umgang mit Veronica geben und so emotionell die Situation entlasten. Dies, so hoffe ich, kommt dann widerum der Kleinen zu Gute.

Abschliessend möchte ich erwähnen, dass die Zusammenarbeit mit Veronica, ihrer Familie und den Institutionen gut eingespielt und stabilisiert ist.

 

Planung des therapeutischen Vorgehens

zeitliche und organisatorische Planung

Zur Zeit behandle ich Veronica einmal pro Woche, Montags von 17.00 bis 18.00 Uhr, im derzeitigen Atelier für improvisatorische Musik „il Trillo“ in Soci – einem Nachbardorf, 8 Autominuten von Veronica’s Zuhause entfernt.

Wenn das Kind krank ist, besuche ich es daheim und behandle es in seinem Bettchen oder in der Stube.

Die Therapiekosten vom 18 Euro pro Sitzung, werden von der Familie getragen und jeweils Ende Monat bezahlt.

Die Transporte übernimmt die Familie mit ihrem eigenen Auto.

Flankierende Maßnahmen (rechtliche Abklärung, Elterninformation)

Als Begleitmassnahme führe ich alle 2 Monate ein Elterngespräch, um mich mit ihnen über den Werdegang des Kindes auszutauschen. Zu diesem Zweck besuche ich die Eltern oft zu Hause. Dies ist eine, von ihnen geschätzte Geste, die mir auch immer wieder die Gelegenheit gibt, mehr über ihren Alltag zu Hause zu erfahren.

Dokumentation

Die einzelnen Sitzungen werden von mir stichworthartig, schriftlich festgehalten und halbjährlich resumiert. In besonderen Momenten dokumentiere ich einzelne Sitzungen durch ein narratives Sitzungsprotokoll, welches auch in der Supervision dienlich ist. Diese Dokumentationen sind durch gelegentliche Audiodokumente unterstützt und werden in der vierteljährlichen Verifizierung mit der Neuropsychiaterin besprochen. Die Eltern haben auf Wunsch hin Einsicht in die Dokumentationen.

 

Transfer der Seminarinhalte in die Förderung

Im Allgemeinen

Alle 6 Seminare regten mich zu Reflexionen über meine Arbeit an und liessen mich mein Denken und Handeln in der Therapie hinterfragen. Die Ganzheitlichkeit, das Personen- und Ressourcenorientierte Vorgehen und die Orientierung an der Entwicklung wurden mir auf vielfältige Weise bestätigt, und ich fühle mich dadurch  bestärkt, dies weiter zu entfalten. Durch das 2. Modul und die Literatur konnte ich erkennen, wie ein Körperorientierter Ansatz, neben den somatischen Wirkungen im Sinne der Therapie, auch zum prioritären Kontaktstil werden kann bei mehrfachbehinderten Kindern. Das Praxisnahe Theorieseminar mit Frau Strotmann half mir, die Integration von theoretischen Ansätzen, Förderkonzepten und dem alltäglichen praktischen Handeln zu verdichten – in beide Richtungen: Von der Theorie zur Praxis und von der Praxis zur Theorie.

Die Informationen und anschaulichen Beispiele des Modules mit Herrn Kern gaben mir zu verstehen, wie wichtig die Förderdiagnostik des Sehens ist, wie viel an Wissen und Kompetenz existieren, und wie es möglich ist, diese in die Praxis umzusetzen. Obwohl ich durch meine Blindheit nicht in der Lage bin, solch eine Förderung auszuführen, bin ich dennoch froh um diese Erkenntnisse – bin ich doch nun viel sensibilisierter für das Thema, weiss um die Möglichkeiten und kann durch mein Interesse mithelfen, dass die Kinder zu den entsprechenden Stellen finden werden. Ebenso kann ich durch meine Fragestellungen dieses Interesse bei den Equippenmitgliedern wecken. Ich werde mich nun darum kümmern, entsprechende Institutionen zu finden und die Wege dahin vorzubereiten. Dabei denke ich an die Hollmann-Stiftung etc. Die basalen Sehförderungselemente konnte ich im Atelier umsetzen und werde diese weiter entwickeln.

Die intensiven Selbsterfahrungsmodule im 6. Kurs halfen mir, wacher und offener zu werden für die alltäglichen Leistungen, Schwierigkeiten und Anstrengungen meiner Patienten, aufgrund ihrer Behinderung. So kann ich ihnen mehr Zeit lassen und ihnen besser beistehen. Ebenso konnte ich mit Erfolg die vorgeschlagenen praktischen Vorgehensweisen (z.B. beim Anziehen von Kleidern) umsetzen. Das Thema der Orientierung und Mobilität von Schwerstbehinderten wurde mir erst recht bewusst und ich konnte diese speziellen Hinweise direkt anwenden.

Viele Inputs sind für mich Erkenntnisse geworden, die ich noch vertiefen möchte, um sie dann effektiver in die Therapiesituation zu übertragen. So ist das Thema der Verhaltensmodifikation Neuland für mich und benötigt entsprechendes Grundlagenstudium. Das Wassertanzen setzte ich bislang für mich persönlich um. Dies mit der Absicht, durch die Selbsterfahrung im Wasser, Neues über mich und den Umgang mit dem Anderen im Wasser zu lernen.

Alle 6 Module gaben mir mannigfach Hinweise, wie ich meine Förderdiagnostik differenzierter gestalten und diese in mein Musik- und Physiotherapeutisches Tun integrieren kann. Sicherlich ist der Kurs eine gute und reichhaltige Anregung für mich, und ich werde im nächsten Jahr , nach weiterer persönlicher Vertiefung, noch mehr Inhalte in die Arbeit übertragen können. In diesem Sinne ist bei mir vieles ins Rollen gekommen, und ich bin nun froh, das Gelernte und Entdeckte weiter im Selbststudium und in der Auseinandersetzung mit meinen Kolleginnen und Kollegen ver- und erarbeiten zu können. Der Transferprozess ist im Gange und wird mich noch für längere Zeit beschäftigen.

In der Förderung Veronica’s:

Folgende Aspekte konnte ich bewusster, intensiver und spezifischer in die Förderung von Veronica übertragen:

  1. Holding und Handling: Durch gute Lagerung im Sitzen und Liegen mit kleinen und grossen Kissen eine angenehme und Sicherheit-spendende Ausgangsstellung bieten. Diese „vorbereitete“ Umgebung hilft dem Kind entspannter zu sein und sich mir gegenüber besser zu öffnen. Ebenso intensivierte ich mein verbales Umgeben, Ankündigen meiner Handlungen etc.
  2. Körperliche Harmonisierung durch einfache rezeptiv ausgerichtete Massage- und Bewegungsangebote. (Typ  Methode Jörimann).
  3. Zeitlich- und Intensität-kontrolliertes Handeln aufgrund der kontinuierlichen Beobachtungen der Reaktion des Kindes. Insbesonders konnte ich mich in der Wahrnehmung seiner Reaktionszeiten sensibilisieren und dadurch der körperlichen Harmonisation besser Raum geben (Stressabbau).
  4. Visuelle, taktile und akustische Orientierungshilfen im Bettchen und in der Wohnung zu Hause. Mit einfachen Hilfsmitteln und Materialien war es möglich, klare Merkmale zu schaffen, die Veronica in der Basisorientierung helfen können. (Deren Wirkung ist noch abzuwarten).
  5. Differenziertere Beobachtung bezüglich der basalen Kommunikation und entsprechende Ausrichtung in meinem therapeutischen Handeln.
  6. Anerkennen der Entscheidungen Veronicas. Durch das Lesen ihrer körperlichen, vegetativen, sonor- musikalischen und atmosphärischen Reaktionen, sowie ihrer Bewegungen kann ich besser erfahren, wie sie basal kommuniziert und wie sie mir ihre „Entscheidungen“ zu verstehen gibt.
  7. Überwindung der Defizitorientiertheit: Dank der Reflektionen fiel es mir  einfacher, mich auf die basalen Fähigkeiten des Kindes einzulassen und die schweren Behinderungen und das latent vorhandene Thema des Todes besser austragen zu können (Entdramatisierung).
  8. Vertiefung der Förderdiagnostik: Aufgrund der erarbeiteten Inhalte bin ich heute bewusster und sensibler für zu beobachtende Aspekte der Schwerstbehinderten und kann diese auch differenzierter formulieren. Dies hilft mir in der Auseinandersetzung mit der Equipe und in der Fachsupervision.

Ich bin mir auch bewusster geworden bezüglich meiner persönlichen Fähigkeiten und Grenzen im Beobachten und Erkennen. Persönliche Entlastung von zu hohen Erwartungen und Ansprüchen meinerseits durch das Fokussieren auf die machbaren Schritte, auch wenn diese im Bereich von Mikrofortschritten liegen.

 

Zusammenfassung

Veronica, ein 5-jähriges, schwer mehrfachbehindertes und sehgeschädigtes Mädchen, wird zu Hause von den Eltern gepflegt.

Veronica ist aufgrund einer pränatalen Infektionskrankheit im Sinne der Hydroanenzephalie  geschädigt. Ihre Entwicklung ist schwerst behindert was sich  durch motorische, sensorielle, sprachliche und geistige Defizite zeigt. Heute steht ihr fragiler Gesundheitszustand im Vordergrund. Chronische respiratorische Infektionen und Blasenentzündungen benötigen mehrmals im Jahr Antibiotika-Behandlungen. Häufige epileptische Krisen reduzieren ebenfalls den Zustand des Kindes.

In Zusammenarbeit mit der lokalen Neuropsychiatriegruppe für Kinder und Jugendliche, mit der Schule und den Eltern bin ich engagiert, dem Kind mittels meinen musik- und physiotherapeutischen Fähigkeiten beizustehen. Das Engagement, im Sinne der Förderpflege, konzentriert sich auf die Stabilisierung des Gesundheitszustandes und der Prävention von sekundären und terziären Komplikationen. Besonderen Wert wird ebenfalls auf die basale Kommunikation gelegt. Insbesonders im sonor-musikalischen und taktil-kinästhetischen Dialog ist Veronica erreichbar.

Seit 2 Jahren besucht Veronica, in Anwesenheit eines Elternteils, 1 mal wöchentlich, mein Musiktherapie-Atelier zur Behandlung. Der Zustand von Veronica hat sich in der 2-jährigen Beobachtungszeit verbessert. Sie hat deutlich längere Phasen von Wohlbefinden und körperlicher Gesundheit und benötigt demzufolge weniger Antibiotika. Sie muss nicht mehr über Sonde ernährt und auch nicht mehr künstlich beatmet werden.

Im vorliegenden Text wird ihre Vorgeschichte, ihr aktueller Zustand und ihre musik- und physiotherapeutische Förderung beschrieben.

Präsentation

Die Präsentation von Veronica’s Situation, ihrer Lebenswelt und der musik- und physiotherapeutische Förderung in meinem Atelier, werde ich durch Erzählen, Audioaufnahmen und Anhören eines Sitzungsprotokolls gestalten. Um zusätzlich visuelle Eindrücke der Situation dieses Kindes vermitteln zu können, werde ich zwei power-point-files vorführen.