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Sound design, Lärm, Interview mit dem BAFU

Interview mit Wolfgang Fasser:

«Das Drama ist, dass wir uns aneignen, taub zu werden»

Wolfgang Fasser ist Klangforscher und Musiktherapeut. Er verwendet nicht zuletzt auch Hörbilder, wenn er mit Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen mit chronischen Krankheiten, Lebenskrisen oder Behinderungen arbeitet. Wolfgang Fasser ist seit 35 Jahren blind.

umwelt (Magazin des BAFU):

Herr Fasser, Ihre Welt ist eine Welt der Geräusche.Wie erleben Sie diese Welt?

Wolfgang Fasser: Meine Wahrnehmung ist sicher zentriert auf das Hören, aber auch genährt durch das Tasten, das Bewegen, das Erfühlen der Atmosphäre. Das gehört alles  hinein. Die Welt, die ich so erlebe, ist unglaublich vielfältig. Sie besteht aus Hörbildern, Hörszenen, Hörlandschaften – ergänzt mit Tastbildern und Bewegungsszenen. Meine Ästhetik ist natürlich eine andere. Ein Platz ist für mich schön, wenn er angenehm klingt. Anstatt Sehenswürdigkeiten kenne ich Hörenswürdigkeiten.

Können Sie uns da einen Tipp geben?

Um in der Stadt zu bleiben: die Hohe Promenade in Zürich. Man hört dort wunderbar die Vögel singen, es hat Bäume, alte Häuser, die in einem günstigen Abstand zueinander stehen, sodass ein angenehmer Sound zwischen den Gebäuden entsteht. Zwar sind im Hintergrund auch die Züge beim Bahnhof Stadelhofen hörbar, doch ihr Geräusch ist nicht dominierend, es gehört einfach dazu. Das ist eine schöne urbane Klanglandschaft.

Ist die unsichtbare Welt die schönere als die visuelle?

Nein, die beiden ergänzen sich. Ich wehre mich gegen die Polarisierung ‹Sehen versus Hören›. Es braucht beides. Mit dem Schauen gehen wir in die Welt hinaus, über das Hören kommt die Welt zu uns. Und es gibt auch unter den Sehenden Menschen, die eher auditiv orientiert sind. Wir sollten in unserer Wahrnehmungskultur das Akustische bewusst mehr pflegen. Wenn wir üben, auch die Ohren offen zu halten, entdecken wir mehr vom Leben.

Sie haben sich als Klangforscher und Musiktherapeut mit der Wirkung von Geräuschen, Tönen und Klängen auf die menschliche Psyche befasst. «Naturhörbilder in der Musiktherapie» lautet der Titel ihrer Masterarbeit. Wie wirken verschiedene Hörbilder auf uns?

Der Klang der Welt lässt sich aufgrund seiner Entstehung in vier Gruppen aufteilen, nämlich in Biophonie, Geophonie, Anthrophonie, Technophonie. Die Biophonie umfasst alle Laute, Geräusche, Rufe und anderen akustischen Äusserungen der Lebewesen: Vogelgesang, Froschgequake, das Zirpen der Grillen. Tendenziell hat sie eine ausgleichende Wirkung auf den Menschen. Sie hilft, uns zu regenerieren. Es sind ja auch Naturgeräusche, die wir seit Urzeiten kennen und einordnen können. Letzteres gilt auch für die Klänge der Geophonie − die nicht biologisch erzeugten natürlichen Klänge von Wind, Wasser oder Donner. Hier gibt es aber unterschiedliche Effekte. Donnergrollen in der Ferne kann uns behagen, in der Nähe aber wirkt es bedrohlich. Oder die Wassergeräusche: Das Rauschen eines kleineren Bachs empfinden wir als entspannend. Es macht uns sicher, wir können uns dabei gehen lassen. Wenn das Wasser aber lauter wird, hat es mehr anregende Wirkung. Wir nutzen dies in der Therapie. Wenn jemand depressiv und antriebslos ist, braucht er nicht Entspannung, sondern milde Anregung. Das Gehen gegen den Strom einem Flussufer entlang bringt dieser Person genau die richtige Dosierung von Wassergeräuschen, die sie für eine Stimulierung braucht.

Und die nicht natürlichen Geräusche sind Lärm?

Nein. Die Anthrophonie, zu der ich alle Geräusche zähle, die der Mensch selber verursacht − durch Atmen, Reden, Bewegung, Handarbeit -, tut uns gut. Dass ich den anderen höre, ist wohltuend, gibt mir Kontakt und Beziehung. Die Anthrophonie ist deshalb entscheidend für unser Sozialleben. Sehr viel am Affektiven in Beziehungen ist mit Geräuschen verbunden. Wenn das Kind nach Hause kommt, merkt man sofort, wie es ihm geht – an der Art, wie es die Türe öffnet, wie es schreitet. Das lernen schon Säuglinge. Ein Baby versteht die Worte der Mutter nicht, aber es kann ihre Emotionen in der Musik der Stimme lesen. Doch wenn es zu lärmig ist, bekommen wir diese Feinheiten nicht mehr mit. Die Folge ist eine Verarmung an Beziehungen.

Damit wären wir bei der Technophonie angelangt.

Auch die Geräusche, die durch technische Hilfsmittel erzeugt werden, sind nicht ausnahmslos Lärm. Aber es ist keine Emotion drin. Technische Geräusche haben mit Menschsein nichts zu tun. Sie sind oft monoton, haben keine Aussage, und wir können sie auf der emotionellen Ebene viel weniger gut einordnen als menschliche Geräusche. Das strengt an, und darum empfinden wir sie oft als belastend. Und vielfach sind die technischen Geräusche so laut, dass sie die anderen maskieren.

Und wie reagieren wir darauf?

Wir hören weg, lernen, innerlich die Ohren zu schliessen. Wir desinvestieren damit in einen Sinn, der sehr wichtig ist. Das Hören ist mit mehr Hirnbereichen verknüpft als alle anderen Sinne. Und gerade das schalten wir aus. Das ist das Drama: dass wir uns aneignen, taub zu werden. So nehmen wir nur noch einen Teil der Wirklichkeit wahr. Die Menschen orientieren sich immer mehr ausschliesslich optisch, und unser Alltag ist auch immer stärker optisch geprägt. Selbst die Kommunikation ist visuell geworden: Wir mailen, wir schicken SMS. Wenn wir unterwegs sind, schauen wir auf das Display des Handys. Jugendliche, die mit Displays und Bildschirmen aufwachsen, die also viel über das Optische wahrnehmen und kommunizieren, hören meist erst hin, wenn sie etwas vom Bild her nicht verstehen.

Ist die Welt in den letzten Jahren lärmiger geworden?

Lärm ist vor allem flächendeckender geworden. «Low frequency noise» − eine Art Grundrauschen, das immer da ist und vor allem mit Verkehrslärm, zum Teil auch Fluglärm, zu tun hat − ist heute überall. Diesen Geräuschpegel unserer Zivilisation gab es vor 30 Jahren abseits der Zentren noch nicht. Ich erlebe das im Glarnerland: In Landschaften, in denen früher noch Stille herrschte, ist der akustische Smog heute permanent, auch nachts. Der Fluglärm hat sehr zugenommen. An Orten, die früher pro halbe Stunde einmal überflogen wurden, dauern die Fluglärmpausen heute bloss noch fünf bis zehn Minuten.

Und was können wir dagegen tun?

Lärmbekämpfung ist nötig, am besten an der Quelle. Doch das ist nur der Anfang. Wir sollten es wagen, den Horizont zu erweitern. Es muss in Zukunft nicht mehr allein um die Frage gehen, wie viel Lärm wir erdulden, sondern in welcher Klangwelt wir leben wollen. Was möchten wir hören? Es braucht Sounddesign. Warum sollen wir immer nur optisches Design machen? Eine Maschine soll nicht nur schön aussehen, sondern auch gut tönen. Zum Teil macht man heute schon Sounddesign. Ein Alpha Romeo tönt nicht irgendwie, der hat den typischen Alpha-Romeo-Sound. Da steckt Absicht dahinter. Auch die meisten Waschmaschinen sind sounddesigned. Sie könnten mucksmäuschenstill sein, doch das will man nicht. Wir sollen hören, dass klares Wasser hineinfliesst. So entsteht der Eindruck, dass die Maschine sauber wäscht. Viel wurde investiert, um zu erreichen, dass dies wie ein Bergbach tönt.

Was ist dagegen einzuwenden?

Nichts, das ist o. k., doch wir brauchen Sounddesign auch, um Dinge leiser zu machen. Warum muss ein Laubbläser so dröhnen? Weil beim Sounddesign gespart wurde. Würde man hier ein wenig investieren, gäbe es für manche Zwecke weniger laute Geräte. Die Stadt Zürich hat dies bei den modernen Cobra-Trams getan. Sie sind deshalb erheblich leiser. Dies verbessert die urbane Klanglandschaft, speziell in den Ruhezeiten und nachts. Auch zur Gestaltung öffentlicher Räume gehört Sounddesign. Ein Architekt hat versagt, wenn ein Platz nicht gut tönt – auch wenn dieser visuell noch so schön gestaltet ist. Damit die Klangwelt wohltuend wirkt, braucht es die richtigen Materialien, Fassadenformen, Proportionen. Auf dem Domplatz von Florenz hört man frühmorgens sehr gut, wenn jemand auf der anderen Seite des Platzes etwas sagt. Da steckt alte Klanggestaltung dahinter. Das Wissen ist vorhanden, wir müssen es nur anwenden.

Interview: Chrisoula Stamatiadis und Hansjakob Baumgartner